Frühförderung SEHEN

So lernt Raphael, mit den Ohren zu sehen

Etwa 1,5 Millionen Menschen in Deutschland sind blind. Die „Klick Sonar“-Methode soll helfen, durch Schnalzen ihre Umgebung zu erkunden.

Von Isolde Stöcker-Gietl, MZ
 

ff reg presseartikel„Klick, klick, klick“: Raphael schnalzt unter Anleitung seiner Heilpädagogin Andrea Sieber in die Metalldose. Fotos: Stöcker-Gietl



Schwandorf. Raphael schnalzt mit der Zunge. „Klick, klick, klick.“ Dann legt er auf. Das Telefonat ist beendet. Doch Raphael lauscht noch eine Weile nach. Nur er kann den blechernen Klang noch hören. Es ist ein Spiel und doch noch viel mehr. Denn das, was der dreijährige Junge aus dem Landkreis Schwandorf in seiner Hand hält, ist gar kein Telefonhörer, sondern eine Plätzchendose aus Metall. Sie klingt anders als der Joghurtbecher und anders als die Salatschüssel, die daneben stehen. Für sehende Menschen spielt das keine Rolle. Doch für Raphael, der von Geburt an blind ist, ist ein Ton wie ein Bild. Seine Ohren und seine Zunge sind seine Augen.

„Klick-Sonar“ nennt sich diese Methode, die blinden Menschen ein weitgehend eigenständiges Leben ermöglichen soll. Der US-Amerikaner Daniel Kish, der durch einen Tumor beide Augen verlor, hat das Schnalzen mit der Zunge so weit perfektioniert, dass er damit nicht nur Entfernungen abschätzen kann, sondern dreidimensionale Bilder seiner Umgebung erhält. Seine Fertigkeiten brachten ihm den Namen „Fledermausmann“ ein. Denn Kishs Methode funktioniert ähnlich wie die Echoortung der Wale, Delfine oder Fledermäuse.

Der Blindenstock ist immer dabei

Raphael hat die Plätzchendose zur Seite geschoben. „Das klingt grausam“, sagt er und wählt wieder den Joghurtbecher. Nun hält ihm Heilpädagogin Andrea Sieber von der Frühförderung Sehen des bbs Regensburg Kugeln vor sein rechtes Auge. Auf diesem Auge hat Raphael noch einen minimalen Sehrest. „Die ist orange“, sagt er und lässt sie in den Becher knallen. Auch die blaue Kugel erkennt er sofort. „Obwohl Raphael der Definition nach als blind gilt, so kann er dennoch mit seinem Rest an Sehkraft noch erstaunlich viel anfangen“, sagt seine Mutter Manuela. Der Dreijährige erkennt Licht und Schatten und auch Farben. Und das in einem Alter, in dem oft sehende Kinder noch keine Farben unterscheiden können. Überhaupt ist Raphael ein aufgewecktes Kerlchen, der das fehlende Sinnesorgan sehr gut mit seinen anderen Sinnen ersetzen kann.
 
Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht von deutschlandweit 1,5 Millionen Menschen mit fehlendem Augenlicht aus. In Bayern sind 0,6 Prozent der als blind registrierten Menschen Kinder unter sechs Jahre. Die meisten blind geborenen Kinder haben Mehrfachbehinderungen. Etwa 160 Kinder pro Jahr werden geboren, die abgesehen vom fehlenden Augenlicht völlig gesund sind.
So wie Raphael. Für seine Eltern war es eine ganz normale Schwangerschaft, die genauso unkompliziert verlief, wie bei der erstgeborenen Tochter Christina. Doch noch im Kreißsaal war klar, dass der Junge eine Sehbehinderung hat. Wie groß die ist, ergaben die nachfolgenden Untersuchungen. Durch einen spontanen Gendefekt haben sich die Augen in der Schwangerschaft nicht richtig entwickelt, sagt seine Mutter Manuela. Bis zu Raphaels Geburt habe es keinen solchen Fall in der Familie gegeben. „Es hat uns also völlig unvermittelt getroffen und natürlich waren wir zuerst auch geschockt.“ Unmittelbar nach der Geburt wandte sich die Familie an die bbs-Frühförderung. Heilpädagogin Andrea Sieber begann mit Raphael bereits im Säuglingsalter zu arbeiten. Mit Licht, mit Geräuschen und mit Fühl- und Tastspielen. Seit seinem zweiten Lebensjahr trainiert sie auch spielerisch „Klick-Sonar“ mit dem Jungen. „Nicht immer hat er Lust dazu und man darf ihn auch nicht zwingen. Je ungezwungener er damit umgeht, desto besser.“ Andrea Sieber hofft, dass das Schnalzen mit der Zunge für Raphael irgendwann so selbstverständlich wird, wie der Blindenstock, den er bereits gerne und sehr geschickt einsetzt.

Die Familie traut dem aufgeweckten Jungen viel zu. „Er kann die Kinderkrippe im Ort besuchen und ab Herbst auch den Kindergarten. Inzwischen fährt er sogar in Begleitung seiner Schwester im Bus dorthin“, sagt seine Mutter. Gerade ist die Familie ins neu gebaute Eigenheim umgezogen. Die Hangterrasse ist noch nicht mit einem Geländer gesichert, doch Raphael weiß sehr genau, wo er sich bewegen kann. „Es ist wie ein siebter Sinn, er bleibt einfach rechtzeitig stehen“, erklärt seine Mutter. Auch die Treppen im Haus nutzt der Junge ohne Probleme und er saust mit seinem Bobbycar durch den Flur. Für Raphaels Familie war die Unterstützung durch die Frühförderung dabei eine große Hilfe. Doch jetzt will der Junge noch vorführen, wie gut er mit seinem Blindenstock umgehen kann.

Die Fledermaus als Maskottchen

Der Bezirk Oberpfalz, so lobt Andrea Sieber, ist bei der Finanzierung von speziellen Förderangeboten für blinde und sehbehinderte Kinder großzügig. Im Gegensatz zu anderen Bezirken würden die Kosten der Frühförderung, sofern sie ausreichend begründet werden, übernommen. Derzeit betreut die Frühförderung Sehen des bbs in Regensburg 36 blinde und stark sehbehinderte Kinder, und parallel dazu werden weitere 12 Kinder in Einrichtungen vor Ort betreut. Auf der Straße will Andrea Sieber wieder das Klicken üben, doch Raphael hat keine Lust mehr. Wie weit die nächste Garage von ihm entfernt ist, interessiert ihn heute nicht mehr. Er schiebt seinen Blindenstock über den Gehsteig und bleibt an jedem Gullydeckel und jedem Geländer stehen, um zu fühlen und im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen. „Hier auf dem Zaun bin ich gesessen“, erzählt Raphael seiner Heilpädagogin. Doch die weiß schon, dass sie angeschwindelt wird. „Er ist ein großer Geschichtenerzähler mit einer lebhaften Fantasie“, sagt seine Mutter.

Wie es nach der Kindergartenzeit weitergeht, darüber haben sich seine Eltern noch keine Gedanken gemacht. Ob Regelschule oder Schule für Blinde – darüber wollen sie erst entscheiden, wenn es so weit ist. Mit dem sechsten Geburtstag wird auch die Frühförderung für Raphael enden. Seine Eltern hoffen, dass er sich bis dahin die „Klick-Sonar“-Methode gut angeeignet hat und auch Lust darauf hat, sie anzuwenden. Denn sie ist überzeugt, dass sie ihrem Sohn zu einem selbstständigen Leben verhelfen kann.

Raphael holt seinen Roller. Den Blindenstock legt er zur Seite. Daran baumelt als Maskottchen eine Fledermaus. Raphael hat sie sich im Tierpark Hellabrunn ausgesucht. Schließlich verbindet ihn mit diesem Tier sehr viel. Wie die Fledermaus lernt Raphael Schritt für Schritt mit seinen Ohren zu sehen.

Quelle: http://www.mittelbayerische.de/nachrichten/oberpfalz-bayern/artikel/so-lernt-raphael-mit-seinen-ohren-zu-sehen/934110/so-lernt-raphael-mit-seinen-ohren-zu-sehen.html#934110

 

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FF Kulmbach WeihnachtsfeierIn der dunklen Zeit tut es gut zusammen zu rücken, Lieder zu singen und Geschichten zu erzählen. Aus ganz Oberfranken trafen sich Familien in der gemütlichen Stube des Schützenhauses von Neufang. Man lernte sich näher kennen bei Kaffee, Glühwein, mitgebrachten Plätzchen und leckeren Kuchen.

 

 

 

Wir kommen zu Ihnen!

Die Frühförderung SEHEN des bbs regensburg betreut sehbehinderte und blinde Kinder und ihre Familien in Stadt und Landkreis Eichstätt, Ingolstadt, Kelheim, Straubing-Bogen, Deggendorf, Regen, Passau, Freyung-Grafenau, Cham, Schwandorf, Neustadt/Waldnaab, Weiden, Tirschenreuth, Amberg-Sulzbach, Neumarkt und Regensburg.

 

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BR FF-KU-Thurnau 2013 Frau Miller-Gadumer mit KindernAn der Grundschule Thurnau gab es ganz besonderen Unterricht. Im Rahmen der Kulturwochen erkundeten die Kinder der ersten und dritten Klassen eine unsichtbare Welt.

Von Matthias Beetz (Bayerische Rundschau, (20./21. Juli 2013)

Thurnau - „Richtig cool“ findet die neunjährige Victoria die Aktion an der Grundschule Thurnau. Die Augen hinter einer Schlafmaske verborgen, erkundet sie ein Tast-Lesebuch auf dem Tisch vor ihr. „Das ist ganz schön ungewohnt, wenn man nichts sieht, sondern nur fühlt“, sagt das Mädchen, das sich einer Sache gewiss sein kann: Wenn sie die Maske wieder abnimmt, dann ist es für sie auch vorbei mit der Dunkelheit.

Gerade deshalb war die Neugier bei den Kindern ungeheuer groß, die im Rahmen der Thurnauer Kulturwochen „Schwantastisch“ jetzt einen ganz besonderen Unterricht kennenlernen durften. Die Frühförderung Sehen der bbs kulmbach, des Bildungszentrums für Blinde und Sehbehinderte, war an der Grundschule zu Gast.

Initiiert hatte die Schulstunde der besonderen Art der Thurnauer Töpfer Bernhard Noe. Dem 49-jährigen Künstler, der Schrift schon länger in seinen Arbeiten als Gestaltungselement benutzt, war beim Einsatz der Blindenschrift die Idee gekommen, das Thema über die Kulturwochen in die Schule zu tragen und „Schwantastisch“ auf eine noch breitere Basis zu stellen.

BR FF-KU-Thurnau 2013 Herr NoeBei Maria Miller-Gadumer von der Frühförderung, den Thurnauer Lehrkräften und bei Sandra Bali, Organisatorin von „Schwantastisch“, stieß die Idee sofort auf Zustimmung. „In der dritten Klasse passt das gut zum Thema Auge im Sachunterricht. Und in den ersten Klassen geht es um das Lesen lernen“, erklärt stellvertretende Schulleiterin Steffi Gunzelmann, die mit ihren Kolleginnen Christiane Mayer, Kerstin Friedrich und Stefanie Hartl samt Mutter Manu Weibbrecht und Töpfer Bernhard Noe den Unterricht von Maria Miller-Gadumer mitgestaltet.

In einem Puppenspiel lernen die Kinder den Erfinder der Blindenschrift, Louis Braille, kennen. Sie dürfen Tastbilderbücher mit unterschiedlichen Materialien erkunden. Und sie dürfen natürlich auch Bekanntschaft mit der Blindenschrift machen, auf die  in der Frühförderung hingeführt  wird.

Dass ein Buchstabe fast immer aus mehreren, aber gleichzeitigen  Anschlägen auf der Punktschriftschreibmaschine besteht, kann die meisten nur anfangs irritieren. Da lässt sich Victorias Banknachbar Tim auch vom Pausengong nicht bremsen und „hämmert“ seinen Namen gekonnt noch schnell auf das Spezialpapier.

Joshua, Kilian und Jana kümmern sich unterdessen – mit verbundenen Augen versteht sich – um Busfahrer Rudi und seine Fahrgäste, denen Fahrkarten durch aufgedruckte Blindenschriftbuchstaben zuzuordnen sind. „Blinde brauchen eine hohe Merkfähigkeit“, erklärt Maria Miller-Gadumer, was den meisten Kindern erstaunlicherweise wenig Probleme macht. Viktoria fühlt sich mit ihren kleinen Fingern sogar bis zur allerletzten Karte vor. „Das ist die Richtige“, sagt sie bestimmt.

Führungen für Blinde?

Dass das System „Auf der Taststraße zur Punktschrift“ in der Schule eine wirkliche Bereicherung für die Thurnauer Kunstwochen ist, unterstreicht „Schwantastisch“-Organisatorin  Sandra Bali. Und das vor allem deshalb,  weil es inzwischen Pläne gibt, im  Töpfermuseum Führungen für Blinde anzubieten. Immerhin war der Museumsbegründer Günter Stüdemann  im Alter auch stark sehbehindert.  Die Arbeit mit den Kindern jedenfalls macht ihr großen Spaß. Dass die Frühförderung Sehen dadurch noch bekannter wird, ist natürlich auch ihr Wunsch.

Vor allem aber der von Maria Miller-Gadumer. Die Diplompädagogin  betreut mit ihren Kolleginnen von Kulmbach aus derzeit rund 25 Kinder in ganz Oberfranken. „Wir fahren in die Familien und helfen sehbehinderten und blinden Kindern, sich im Alltag so selbstständig wie möglich zurechtzufinden“, erklärt sie und verweist auf eine enge Zusammenarbeit mit Kindergärten und Augenärzten.

Zielgruppe der Frühförderung Sehen sind Mädchen und Jungen im Alter bis zum Zeitpunkt der Einschulung.

Für die Eltern wirft die Betreuung keine Kosten auf, wie sie betont. Der Bezirk und die Kassen übernehmen den Aufwand. Und auch für Beratungszwecke steht die Kulmbacher Frühförderung jederzeit zur Verfügung. Denn nicht jedes Kind, das Blickkontakt meidet, ist autistisch; und nicht jedes Kind, das die Augen verdreht, ohne etwas anzuschauen, hat irgendein psychisches Problem. Oftmals ist es  eine beginnende Sehschwäche.

Victoria Kovalov und die Schulkameraden aus der 3a müssen sich am Ende der Übungen auch die Augen wischen, wenn sie plötzlich wieder dem hellen Sonnenlicht ausgesetzt sind. Das  besondere Gefühl, die Umgebung nur noch schemenhaft oder gar nicht optisch  wahrnehmen zu können, weicht schnell der Freude, in der Pause unbeschwert auf dem Hof herumtollen zu können. Aber was es bedeutet,  nichts zu sehen, das  wissen jetzt alle

Kontakt
Frühförderung Sehen
bbs kulmbach
Diplompädagogin Maria Miller-Gadumer
Goethestraße 1
95326 Kulmbach

Telefon: 09221/924701
Fax: 09221/924703

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Schlecht sehen tut nicht weh. Deshalb haben Luis' Eltern auch nicht sofort gemerkt, was mit ihrem kleinen Jungen los ist. Die Frühförderstelle Sehen hilft den Kindern und begleitet die Eltern. von Iris Reichstein  (12.10.2013)

BildKinderleichtdenBlickschärfen"Luis, riech mal, das ist doch ein Pizzagewürz", sagt Barbara Hienert-Kießling (rechts) und hält dem Dreijährigen einen Zweig Thymian hin. Die Mitarbeiterin der Frühförderstelle übt mit Luis spielerisch das Sehen und trainiert auch die anderen Sinne. Fotos: Reichstein

Oberfranken - "Ich mach' jetzt Pizza mit Stinkerkäse", kräht Luis fröhlich und krempelt sich geschäftig die Ärmel hoch. Beim Pizzabacken macht ihm keiner was vor. Eifrig schnippelt er mit seinem Messerchen Paprika, Tomaten und Gurken - bunte Holzbausteine, die er dann sorgfältig auf einem weißen Holzteller anordnet. "Das schmeckt ja super", lobt ihn Barbara Hienert-Kießling. Sie hilft dem Dreijährigen, sich im Kindergarten zurechtzufinden. Denn Luis ist sehbehindert.

"Das rechte Auge ist mein faules Auge", sagt er und kneift es ein bisschen zusammen. Hiermit kann er nur hell und dunkel unterscheiden, auf dem linken Auge sieht er etwa 15 Prozent. Dass Luis überhaupt noch beide Augen besitzt und in einen normalen Kindergarten gehen kann, ist ein kleines Wunder. "Wir haben gemerkt, dass etwas nicht stimmt, da war Luis zehn Monate alt. Er hat uns nicht mehr fixiert, sondern an uns vorbei ins Leere gestarrt", erinnert sich seine Mutter Jessica Sandner. "Nicht so dramatisch", sagt der Hausarzt. "Sofort nach Erlangen in die Uniklinik", sagt die Augenärztin, weil sie schon ahnt, was Luis hat, und dass sie ihm nicht helfen kann.

"Er könnte seine Augen verlieren, aber wichtiger ist, dass er überlebt", erklärt schließlich der Professor an der Uniklinik Erlangen den geschockten Eltern. Retinoblastom. Ein aggressiver bösartiger Tumor hat Luis Augen befallen. Eigentlich hätte man ihn ganz einfach erkennen können. Wenn auf einem Foto das Blitzlicht in die Augen des Kindes fällt und die Pupillen weiß leuchten, deutet das auf ein Retinoblastom hin. "Wir haben uns dann alle Fotos noch einmal angeschaut, und da haben wir es gesehen", sagt Luis' Mutter.

Die Ärzte ordnen eine dringende Chemotherapie in der Kinderklinik in Essen an. Die drei Tage bis zur Chemotherapie sind dumpf, wie in Watte gepackt. Jessica Sandner weint viel, Vater Dieter Reithmeier fühlt nur Leere. "Wir haben einfach funktioniert, wie ferngesteuert", erinnern sich beide.

In Essen werden die Eltern vor die Wahl gestellt: Entweder sie lassen die Augen und damit den Tumor entfernen oder sie versuchen Luis' Augen mit einer Chemotherapie zu retten. "Es war für uns klar, dass wir versuchen wollen, die Augen zu retten", erzählt Dieter Reithmeier.

Glücklicherweise hatte der Tumor seine Metastasen im Körper des Jungen noch nicht gestreut. Die Chemotherapie verträgt Luis gut, ihm ist nur selten übel. Die Therapie dauert von Juli bis November 2011. Einmal im Monat muss der Kleine in dieser Zeit für jeweils eine Woche auf die Kinderkrebsstation der Uniklinik Essen. Mutter Jessica übernachtet mit im Krankenzimmer, Vater Dieter nimmt sich eine Unterkunft in der Nähe der Klinik. "In dieser Zeit hat Luis uns Kraft gegeben. Er war trotz allem fröhlich", berichtet Jessica Sandner. Die Zeit im Krankenhaus haben sie in einem Fotoalbum festgehalten. "Kommt Regen, kommt Sonne", steht auf dem Cover. Ein Mutmachspruch. Im Haus von Luis' Eltern in Nagel gibt es viele solcher kleiner und großer Mutmacher. "Live, laugh, love" (Lebe, lache, liebe) steht auf einem Emailleschild das über dem Küchentisch hängt.

Im Regal daneben steht in einem weißen Holzrahmen ein Bild in kräftigen Farben mit energischem Strich gemalt. "Das hat Luis seinem Papa zum Geburtstag geschenkt", sagt Mutter Jessica stolz. Im Moment ruht der Krebs hinter Luis Augen. Die Tumore sind verkalkt und inaktiv. Dennoch muss er alle drei bis vier Monate zur Untersuchung nach Essen.

Noch während der Chemotherapie haben die Eltern Kontakt mit der Frühförderstelle Sehen in Kulmbach aufgenommen, um Luis bestmöglich zu fördern. Die Frühförderstelle Sehen betreut derzeit 80 Familien in ganz Oberfranken, die ein sehbehindertes Kind oder ein Kind mit Sehschwäche haben. Die Kosten übernehmen der Bezirk Oberfranken und die Krankenkassen. "Damit die Kinder so gut wie möglich mit ihrer Einschränkung umgehen können, fördern wir das Sehen ebenso wie die übrigen Sinne und haben das Kind mit seiner gesamten Entwicklung im Blick", sagt Maria Miller-Gadumer, die mit Karlheinz Vollrath die Frühförderstelle leitet.

Sehen sei nicht nur eine Leistung der Augen, erklärt die Diplom-Sozialpädagogin, sondern auch des Gehirns. "Wird ein Sinn nicht trainiert, so verkümmert er." Bei Neugeborenen ist der Sehsinn noch schlecht ausgebildet, er entwickelt sich bis etwa zum sechsten Lebensjahr. "Je früher eine Förderung einsetzt, desto mehr kann man erreichen", ist Miller-Gadumer überzeugt.

Barbara Hienert-Kießling übt mit Luis, seit er elf Monate alt ist. Sie kommt alle zwei Wochen zur Frühförderung zu Luis nach Hause. "Wir trainieren Strategien, wie Luis sein Defizit ein wenig ausgleichen kann, zum Beispiel, indem er den Kopf mitnimmt oder Dinge bewusst fixiert", erklärt Barbara Hienert-Kießling.

Seit September betreut sie ihn einmal im Monat auch im Kindergarten und klärt außerdem die Erzieherinnen auf, worauf sie im Alltag mit Luis achten müssen. Etwa, dass er gewisse Farben nicht gut sehen kann oder dass er kein räumliches Sehen hat und Abstände und Höhen schlecht einschätzen kann.

"Wir versuchen, Luis den Kindergarten-Alltag zu vereinfachen, haben ihm schon extra Spielzeug gebastelt", sagt Gruppenleiterin Gabi Klier. Luis serviert den anderen Kindern derweil seine selbst gebackene Stinkerkäse-Pizza. Am Spielzeugherd ist er der Chef.

Infos und Beratung

Sind sich Eltern unsicher, ob bei ihrem Kind eine Sehschädigung vorliegt, können sie sich an die Frühförderstelle Sehen wenden. Ergänzend zur Überprüfung durch den Augenarzt bieten die Mitarbeiter Unterstützung an. Die Sehüberprüfung wird von einer Orthoptistin durchgeführt und von einer pädagogischen Fachkraft begleitet. Die Frühförderstelle verfügt über Sehtests, mit denen sie Säuglinge und auch mehrfachbehinderte Kinder überprüfen kann. Das Angebot ist für Eltern kostenfrei. Frühförderung Sehen, Goethestraße 1, 95326 Kulmbach, 09221-924701

 

Erläuterung:
Bei der Frühförderung Sehen in Kulmbach handelt es sich um zwei Frühförderstellen unter einem Dach mit gemeinsamer Adresse und gemeinsamer Telefonnummer. Die "Frühförderung Sehen des bbs kulmbach" betreut von den genannten ca. 80 Kindern jährlich 20 - 25 Kinder. Für die mehrfachbehinderten blinden und sehbehinderten Kinder ist unsere Partnereinrichtung die "Frühförderung Sehen - Blindeninstitut Oberfranken" zuständig.

 

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